Rauswurf in Hamburg – oder: ein Akt von Willkür

Was ist passiert?

Ein Reisender mit Behinderung (Rollstuhlnutzer) war unangemeldet – richtig gelesen: UNANGEMELDET – im Schienenverkehr der DB unterwegs. Darf er – oder sie. Auch im Fernverkehr! Die DB sagt:

 “Natürlich steht es dem Fahrgast aber frei, die Züge der Deutschen Bahn (DB) auch ohne Anmeldung zu nutzen”

Deutsche Bahn

Soweit so gut. Denn tatsächlich ermöglicht der ICE 4 (seit 2017 im Einsatz, über 100 Züge) oder der ICE3 neo (seit 2022, 4 Züge) mit dem extra eingebauten Lift das Reisen ohne Anmeldung. Aber die Rechnung wird ohne (angemessen geschultes) DB Personal gemacht.

Die Kurzfassung: Der Lift im Zug ist kaputt (oder besser: das Zugpersonal kann den Lift nicht angemessen bedienen). Also „organisiert“ die Zugchefin frühzeitig den Ausstieg für Hamburg Hauptbahnhof. Der Fahrgast möchte aber lieber in Dammtor raus (Zug ist verspätet, Anschlusszeit wird knapp, da ist Dammtor besser, denn dort ist kein Bahnsteigwechsel nötig). Zugchefin beharrt aber auf Ausstieg in Hamburg Hauptbahnhof. Bundespolizei wird geholt. Zugchefin beruft sich auf Hausrecht und sorgt dafür, dass Fahrgast mit Hilfe der Bundespolizei den Zug vorzeitig verlassen muss.

Wer weiter lesen möchte: Hier der Reisebericht inklusive weiterer „Vorkomnisse“ aus Sicht des Reisenden:

1) Ausstieg in Hannover (ICE 859) – Kurz vor Ankunft in Hannover bat ich das Bahnpersonal, mir beim Ausstieg zu helfen und dafür den Zuglift einzusetzen. Stattdessen erntete ich ein ungläubiges Gesicht und die reflexhafte Frage: “Sind Sie angemeldet?”. Ich verneinte und sagte: Unabhängig von einer Anmeldung würde ich gerne aussteigen und ging zurück zu meinem Platz, um meinen Koffer zu holen. Dann hörte ich den Bahnmenschen noch telefonieren, um das Bahnhofspersonal zu bekommen. Selber wollte man – so schien es – den Ausstieg auf keinen Fall machen. Das Bahnhofspersonal war bei Ankunft im Bahnhof nicht vor Ort. Nach einigen Minuten des Wartens machte sich das Zugpersonal (zwei Personen) auf mein Drängen daran, den Lift zu aktivieren und mich schließlich auch darüber aus dem Zug zu holen. Bei der Verabschiedung bat mich der Zugchef (ich denke, es war der Zugchef) beim nächsten Mal 5 Minuten vorher Bescheid zu geben. Auf meine Nachfrage hin antwortete er: Damit er genügend Zeit habe, das Bahnhofspersonal zu informieren und den Zuglift nicht zu benutzen. 

Beschwerde: Ich fordere die Bahn auf, künftig meinen Wunsch zu entsprechen, dass das Zugpersonal, den eigens hierfür eingebauten zugeigenen Lift nutzt, um mich damit bei Bedarf ein- und/ oder aussteigen zu lassen. Dafür ist es unerlässlich, das Zugpersonal angemessen zu schulen – und Ihren Kollegen damit die Angst vor dem Zuglift zu nehmen!

2) Einstieg in Hannover (ICE 788) –  Während der Einfahrt des Zuges in Hannover habe ich dem ebenfalls mit mir auf dem Bahnsteig wartenden Zugpersonal (offensichtlich war für Hannover ein Personalwechsel vorgesehen) gesagt, dass ich gerne mit dem Zug fahren möchte. Auch hier kam die “obligatorische” Frage: “Sind Sie denn angemeldet?”. Ich sagte nein und sagte, ich würde gerne mit dem Zuglift einsteigen wollen. Um diesen zu Wunsch zu unterstreichen, habe ich dafür die Bedarfsklingel für Reisende mit Behinderung genutzt, die sich direkt an der Einstiegstür der “barrierefreien” Zugtür befindet. Allerdings wollte mich das Bahnpersonal nicht mit dem Lift einsteigen lassen. “Dafür ist das Bahnhofspersonal zuständig”, wurde mir gesagt. Auch sagte die Bahnfrau, die die Zugchefin war (wie sich herausstellen sollte): “Der Lift funktioniert nicht”. Ich fragte, woher Sie das denn wissen würde? Wir hätten es ja noch gar nicht probiert und in der DB App wäre ein entsprechender Hinweis nicht hinterlegt, das hätte ich bereits geprüft. Die Zugchefin wollte allerdings den Zuglift partout nicht nutzen!  Nach etwa fünf Minuten des Wartens auf einem Bahnhofshublift, konnte ich das Zugpersonal dazu bringen, einen Einsatz des Zuglifts wenigstens zu versuchen. Bei Schritt sechs (“braune” Seite) schien dann etwas zu klemmen. Es ging nicht weiter. Es wurde noch weiteres versucht, auch mittels Anrufes eines externen Experten (genau genommen handelt es sich hier um ein Expertenteam – Insider wissen jetzt Bescheid :-)). Daraufhin erklärte sich ein Bordbistromitarbeiter bereit, mich mitsamt des Rollstuhls in den Zug hineinzuziehen, um die Weiterfahrt nicht weiter zu verzögern (ich schätze, zu diesem Zeitpunkt hatten wir etwa 10 Minuten Verspätung). Ich stimmte mit dem Mitarbeiter ab, fuhr mit dem Rollstuhl rückwärts an die Tür ran und er zog mich Stufe für Stufe in den Zug, während ich an den Gestängen rechts und links mithalf. Das klappte und der Zug setze sich in Bewegung. Kaum an einem freien Sitzplatz angekommen, kam die sichtliche aufgeregte Zugchefin hinter mir her und wollte “sofort” ein gültiges Ticket sehen. Ich bat um Ankommenszeit. Sie entsprach der Bitte. Nach kurzer Zeit wurde ich – wie alle anderen – Fahrgäste kontrolliert. Als ihre Kollegin gerade bei mir war und mich nach meinem Ticket fragte, stellte sich auch die Zugchefin vor mich hin und fragte mich, wo ich aussteigen möchte. Sie war sehr aufgeregt und fragte mehrfach nach. Ich bat darum, erst das eine zu machen (Ticket zu zeigen, dann ihr zu antworten – denn ich wusste noch gar nicht so genau, wo ich am besten umsteigen wollte). Mittlerweile waren die anderen Fahrgäste im Wagen wegen der “Aufregung” auf uns aufmerksam geworden. Ich zeigte das gültige Ticket samt Bahncard 50 und versuchte dann die Frage nach dem Zielort zu beantworten. Allerdings war es mir zu dem Zeitpunkt selbst nicht klar, weil es manchmal besser für mich ist in Dammtor auszusteigen, als im Hauptbahnhof (im Hauptbahnhof sind Aufzüge in diesem Jahr über Monate ausgefallen – ein Bahnsteigwechsel ist also nicht verlässlich, Dammtor hingegen ermöglicht den Zugwechsel auf dem gleichen Bahnsteig, ist bei längeren Aufenthalten aber ungünstiger). Die Zugchefin aber bestand auf einer sofortigen Antwort. Schließlich entschied sie, dass es Hamburg Hauptbahnhof werden sollte. Während des Vorgangs war sie die ganze Zeit am Telefon. Es stellte sich heraus, dass sie Kontakt aufgenommen hatte zum Zugchef meiner vorherigen Verbindung, der während des Gesprächs wohl alles “mitbekommen” hat. Sie hatte mich nicht darüber informiert.

Beschwerde: Ich fordere die Bahn auf, den Zuglift in einem Zustand bereitzustellen, die eine reibungslose Nutzung ermöglicht. Ich danke ausdrücklich dem hilfsbereiten und hemdsärmeligen Mitarbeiter für seine unkomplizierte Hilfe. Gleichzeitig möchte ich mit Vertrauen darauf setzen können, dass ich unfallfrei in den Zug hinein und auch wieder herauskomme. Ferner sollte es klar sein, dass ich als Fahrgast mit Ticket gerne selbst entscheiden möchte, wo ich aussteigen möchte – insbesondere wenn ich mich in einem Zug mit entsprechender Vorrichtung (hier: Zuglift) befinde. Das ist vom Zugpersonal zu akzeptieren.

3) Polizeieinsatz in Hamburg – Kurz vor Hamburg kam die Zugdurchsage, dass mein Anschluss ICE nach Kiel nicht auf dem gleichen Bahnsteig (12) fahren würde, wie geplant. Es wäre also ein Bahnsteigwechsel nötig geworden und wir hatten bereits Verspätung. Ich entschied daraufhin, lieber nicht in Hamburg Hauptbahnhof auszusteigen, sondern in Dammtor und informierte die Zugchefin darüber und erklärte es ihr. Sie beharrte darauf, dass ich in Hauptbahnhof aussteigen sollte und sagte, sie hätte nun ja bereits alles dafür organisiert. Ich sagte ihr erneut, dass ich nicht in Hauptbahnhof aussteigen werde und ging zum Platz zurück.  Ich packte meine Sachen zusammen, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Auch fragte ich – wie ich es schon seit vielen Jahren in Notsituationen mache – einen Mitreisenden um Hilfe, ob er mir beim Ausstieg helfen könnte. Er sagte sofort zu und sagte auch: Kein Problem! Bei Ankunft erschien das Bahnhofspersonal mit Hublift und kam zu meinem Sitzplatz. Ich sagte ihm, dass ich erst in Dammtor aussteigen würde. Er war einverstanden und ging wieder. Kurz darauf erschienen zwei Bundespolizisten in voller Montur. Es entspann sich ein geschätzt 20-minütiges Gespräch, darüber, ob ich jetzt aussteigen müsse oder nicht. Ich erklärte, dass ich erst in Dammtor aussteigen wollte, da es für mich als Rollstuhlnutzer einfacher sei, weil ich dort keinen Bahnsteigwechsel machen müsste. Auch hätte ich mir für Dammtor bereits meinen Ausstieg organisiert mithilfe eines mitreisenden Fahrgastes. Die Zugchefin bestand weiterhin auf meinem Ausstieg. Sie hätte es organisiert und ich müsste in Hauptbahnhof raus, weil in Dammtor kein sicherer Ausstieg gewährleistet sei. Der Zuglift sei defekt und man wisse nicht, auf welchem Bahngleis man in Dammtor ankommen würde. (Aus meiner Erfahrung ist die Aussage der Zugchefin schlicht falsch, da es nur zwei Gleise gibt auf dem Bahnsteig für den Fernverkehr. Davon wird die eine Seite für den Verkehr zum Hauptbahnhof hin genutzt und die andere vom Hauptbahnhof weg. Es hätte also wahrscheinlich problemlos der zweite Zuglift auf der “weißen Seite” eingesetzt werden können). Dann beschwerte sich die Zugchefin darüber, dass ich von ihr Fotos aufgenommen hätte. Dabei habe ich nur ein Selfie von mir selbst angefertigt. Personaldaten wurden aufgenommen, sowohl meine, also auch die vom Zugpersonal. Auch bat ich die Bundespolizei darum, zur Wahrung meiner privaten Rechte, die Personalien der Zugchefin aufzunehmen. Die Zugchefin machte eine Durchsage, dass sich die Weiterfahrt wegen polizeilicher Ermittlungen verzögern würde. Es erschien eine aufgeregte Passagierin, die sich über die Verspätung aufregte und in mir den Grund dafür sah. Sie sah mich an und drohte mir, dass sie “noch etwas mit mir machen würde”. Sie hätte sich “mein Gesicht gemerkt”. Die Bundespolizei konnte die Dame etwas beruhigen, auch wenn sie schimpfend wegging. Schließlich machte die Zugchefin von ihrem Hausrecht Gebrauch und verwies mich des Zuges. Ihre Begründung: Für mich könne in Dammtor kein sicherer Ausstieg gewährleistet werden. Mein Einspruch wurde nicht mehr gehört. Die Bundespolizisten riefen Verstärkung. Daraufhin entschloss ich mich, dem Aufruf des Bundespolizisten zu entsprechen und den Zug zu verlassen, um die Situation nicht weiter zu verschärfen. An der Tür bot mir der Bundespolizist an, mir die Stufen herunterzuhelfen. Ich dankte, und sagte, es wäre besser und sicherer noch ein oder zwei Minuten auf den Hublift zu warten. 

Beschwerde: Die vorzeitige Beendigung meiner Zugverbindung durch die Zugchefin empfand und empfinde ich als einen Akt der Willkür. Ich verfügte über ein gültiges Ticket und stellte keinerlei Gefahr dar (ich war weder laut noch betrunken, noch randalierend, … ich wollte nur an der nächsten Station raus, nicht an dieser). Allein die Zugchefin schien sich auf ableistische und diskriminierende Weise für mich “verantwortlich” zu fühlen und hat mich mit ihrer “Fürsorge” in eine abhängige Situation gebracht. Diese führte dazu, dass ich über meinen Ausstiegsort nicht selbst entscheiden konnte und des Zuges verwiesen worden bin. Ich fordere Sie auf, einen solch eklatanten Missbrauch des Hausrechts in Zukunft auszuschließen.

4) Erschwerte Weiterfahrt nach Kiel – In Hamburg war ich dann “quasi” gestrandet. Meine ursprüngliche geplante Verbindung mit einem ICE 4 (inklusive Zuglift) war wegen des Vorfalls obsolet. Ich ging zum DB-Infoschalter, um eine Einstiegshilfe für den EC 378 (Tschechische Bahn) zu bekommen. Zunächst wieder die Frage: “Sind Sie angemeldet?”. “Nein”, entgegnete ich und erklärte die Situation. Widerwillig schaute die DB Kollegin in die Unterlagen. Dann hieß es, dass keine Rollstuhlplätze verfügbar sind. Ich könne nicht mit. Ich sagte: Ich kann mich auf einen freien anderen Platz umsetzen. Das war für die Dame einsehbar, allerdings sagte sie dann, dass kein Personal verfügbar wäre für den Einstieg. Ich bedankte mich und verließ sie mit den Worten, dass ich nun direkt zum Bahnsteig gehen würde, um vor Ort zu versuchen in den Wagen zu kommen. Am Bahnsteig bin ich direkt zum DB-Häuschen. Dort habe ich mich erklärt und der Bahnkollege war dort freundlicherweise bereit, mich per Hublift einsteigen zu lassen. Als ich fragte, auf welcher Höhe wir uns treffen, schaute er die Wagenreihenfolge nach und musste feststellen: Der barrierefreie Wagen sei nicht mit dabei. Er wäre nicht am Zug dran! Ich habe dann “aufgegeben”. Auf einem anderen Bahnsteig stand eine Regionalbahn bereit. Zu dieser bin ich hin, habe am Waggon (letzter Wagen) den Hilfeknopf gedrückt für Unterstützung beim Einstieg. Der Zugführer ist dann ausgestiegen, ist den ganzen Weg von der Lok zum letzten Wagen gelaufen, hat die Rampe herausgelegt, mich hineingelassen und ist dann wieder zurück in die Lok. In Kiel angekommen, sehe ich dann, dass mein gewünschter Zug entgegen der Auskunft sehr wohl über ein barrierefreies Abteil verfügt (s. Foto, dort mit Rollstuhlzeichen am Eingang). 

Blauer Zug im Bahnhof. Schräg fotografiert. Am Eingang klar erkennbar: Ein Rollstuhlzeichen

Beschwerde: Es war mein Wunsch “unangemeldet” zu reisen und nicht “im System” zu sein, weil ich dann unabhängig, selbstbestimmt und “spontan” reisen kann. Insofern ist es auch meine Verantwortung, dass man mir nur zögerlich bei meiner Weiterfahrt helfen möchte und ich zunächst Widerstände überwinden muss. Ich fordere Sie allerdings auf, dass die Bahn Auskünfte macht – insbesondere zu Aspekten der Barrierefreiheit (Wagen dabei, WC intakt?) – die verlässlich sind. Falschauskünfte sind mehr als ärgerlich.

Liebe Bahn, macht (endlich) was, damit sich die Millioneninvestition in Zuglifte auszahlt. Schult Personal! Nehmt ihnen (oft unberechtigte) Angst – Macht sie fit für den Lift! Heißt Menschen mit Behinderung willkommen! – JETZT

Bahn-Admin

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