Mit Kindern & Rollstuhl in die Bahn – ein Familientrip nach Frankreich
Ein launiger Reisebericht von Kay Macquarrie
Langes Wochenende? Ab in die Bahn. Na klar. Wie sonst in Zeiten von Klimawandel und Co. Zwei Kinder (7 und 12), eine erwachsene Person mit Rollstuhl (47).
Vor der Reise – Reservierung online erworben auf Knopfdruck über HaSe (funzt sogar bei Direktfahrten ins Ausland; Anmerkung: Hat nicht die Bahn gebaut…). Erst wollte nur ein Kind mit, plötzlich zwei. Also auch das zweite Kind angemeldet (online per Mail via MobilitätsServiceZentrale (MSZ); Anmeldung wird bestätigt, aber zusätzlicher Platz fälschlicherweise nicht eingetragen, wird später noch interessant). Dann die Tickets erworben – nach dem es vor Ort am Servicepoint nicht klappte – klappte es per E-Mail der MSZ (“Online-Tickets”). Das war gut!
Während der Reise – In Kiel in die Bahn. Klappt auch ganz gut, vorausgesetzt mensch hat sich an alles gehalten (Anmeldung der Reise mind. 48h vorher wegen der Barrieren) und an alles gewöhnt (per Hublift im Rampenlicht). Zug nur 10 Minuten spät. Ab Neumünster bitte ich den Zugbegleiter darum, schon in Dammtor aussteigen zu dürfen (kleiner Bahnhof, nur eine Plattform und damit weniger Risiko, dass was schiefgehen kann). Er meint: geht nicht. Ich sage: Bitte in Dammtor anrufen. Macht er dann, bekommt angeblich eine Absage von dort. Ich: wir sind in einem ICE mit fahrzeuggebundenem Lift. Ich möchte darüber in Dammtor raus. Er: Lift kaputt. Ich: seit wann? Kann er nicht sagen…. Später kommt er zu mir, baut sich über mir auf, regt sich auf und will mich anzeigen, weil Passagier „uneinsichtig“. Er geht. Fahrgäste wollen helfen, kommen kopfschüttelnd auf mich zu. Ich bedanke mich, aber rausgetragen zu werden ist auch nicht ganz ohne… Also, nix mit Ausstieg in Dammtor. Stattdessen im übervollen Hauptbahnhof. Na gut. Hier verpassen wir den Anschlusszug durch einen spontanen Gleiswechsel. Mitarbeiter kann uns am verabredeten Ort nicht finden. Eine unglückliche Situation. Eine Stunde banges Warten, Organisieren und Gedanken sortieren mit unklarem Ausgang.
Schließlich Weiterfahrt mit ICE nach Mannheim. Allerdings ohne Garantie, dass wir nach Paris weiterreisen können, denn Reservierungen sind nicht möglich. Weiterfahrt auch nur mit Übernachtung. Nach Paris gehts heute nicht mehr! In Mannheim bekommen wir einen Übernachtungsgutschein, aber nur für zwei Personen (angeblich kam die Meldung nicht durch, dass wir zu dritt reisen). Okay, drei Leute im Einzelbett – geht wohl schon, denke ich bei mir. Für die Weiterfahrt am nächsten Morgen sollen wir dann nochmal ins Reisezentrum. Abends um 9 Uhr. Mit zwei übermüdeten Kindern, die einfach durch sind. Ich gucke die Mitarbeiterin mit großen Augen an und möchte gerade verbal ausholen, als sie sagt: Okay, mach’ ich schon! Warten Sie hier! Sie kommt zurück: War nicht leicht, sagt sie, aber ich hab was für Sie. Morgen um 7:40 Uhr gehts weiter nach Paris mit Sitzplätzen. Große Erleichterung (insgeheim denke ich: komisch, der Zug sollte ausfallen, laut DB Navigator noch am frühen Nachmittag, aber gut…). Im Hotel wieder Schlangestehen mit den anderen Gestrandeten. Dann heißt es an der Rezeption: drei Personen? Wir haben nur einen Reisenden übermittelt bekommen von der Bahn und auch nur ein barrierefreies Zimmer mit einem Einzelbett für sie reserviert (wohlgemerkt, das Hotel hat 195 Betten und hätte auch kein barrierefreies Zimmer mit Doppelbett, wie sich herausstellte. Dafür eines mit Anschlusszimmer, aber das ist nun schon belegt…). Wir sind fertig. Wir geben uns vorerst geschlagen und beziehen nach erneutem robusten Auftreten “Doch, das nehmen wir jetzt!” das Zimmer. Ufff…
Dann klingelt das Telefon, die Bahn am Hotelapparat: Zug morgen um 7:40 Uhr fällt aus. Aber gute Nachricht, wir haben was zwei Stunden später. Und das Ticket wird sogar zum Zimmer gebracht! Danke, liebe Bahnmitarbeiterin!!! Am Morgen: ICE startet mit Verspätung, aber er startet. Am Bahnsteig: ein Kind möchte nach Hause. Jetzt. Nach Frage an die Bahnmitarbeiterin wird schnell klar: Kinder unter 14 brauchen Begleitung und die muss lange Tage vorher angemeldet werden… Wir sind im Zug nach Paris! Kann fast nix mehr schiefgehen. Doch! In Paris angekommen, ist kein Mobilitätsdienst zur Stelle. Alle gehen raus. Ich nicht.
Nach 20 Minuten Telefonieren und Warten kommt endlich die Hebebühne, um die “eingebaute Barriere”, also die Stufen im Zug, mittels Hilfskonstrukt zu überbrücken. Züge zu bauen, die zu den Bahnsteigen passen, wäre wohl zu viel verlangt in diesen beiden Industrieländern. Himmel! (@Europa: Wo bist du?! Schaffe bitte gute und inklusive Regelungen für einen stufenlosen Zugverkehr).
Angekommen!
***
Paris in “vollen Zügen” (Karl Auer) genossen, wenn auch auf 1,5 Tage eingestampft. Aber toll wars!!!
***
Dann Rückreise. Ab in den TGV. Der hat auch Stufen, aber wenigstens eine Bodenplattform. Wir machen es uns gemütlich und los geht’s. Doch dann der Schreck: Klo defekt. Die Schüssel ist fast randvoll.
Kaum zu fassen. Dennoch wahr. Glück im Unglück, der Zugchef lässt mich immerhin auf die Toilette rein. Für alle anderen ist es gesperrt. Das habe ich auch schon mal anders erlebt… Jedenfalls keine Chance, das WC für eine größere Sitzung zu nutzen. Und ein zweites Universal-WC gibt es auch im TGV nicht… Also Backen zusammenkneifen.
Schließlich Umstieg in Mannheim. Dort schnell ein Brötchen in die Hand. Dann Zugausfall wegen Stellwerkproblem. Aber ein alternativer ICE steht bereit mit 20 Minuten Verspätung, alles fast gut. Im ICE. Geräuscharm, fast erholsam. Klo funktioniert, wir reisen. Lesen. Landschaften ziehen vorbei bei 180 Sachen. Läuft. Dann Durchsage: Zug endet für alle in Göttingen. Grund: er muss gestrandete Fahrgäste einsammeln. Wir müssen raus. Ich frage, ob Mobilitätsdienst informiert ist, die mich aus dem Zug raus und in den anderen, der bereitsteht, reinhelfen. Ja, ist. Ich denke, das kann doch nicht sein. So viel Stress, Ausstieg, Umstieg in überfüllten Zug. Sitzplatzquerelen (wir haben immer noch nur zwei reservierte Plätze) und der andere Zug ist dann mit doppelter Anzahl an Leuten unterwegs. Und fährt nur bis Hamburg Altona und nicht durch nach Kiel, wie unserer hätte fahren sollen. Ich frage nach einer Ausnahme für uns als Familie samt Rollstuhl. Aber nix zu machen. Wir müssen raus.
In Göttingen kommt die Mobilitätshilfe spät, aber sie kommt. Ich verlasse wieder als letzter den Zug. Der andere Zug rollt auf dem gleichen Bahnsteig auf der anderen Seite gerade ein, der uns aufnehmen soll. Dann nächster Schreck: Die Tür zum barrierefreien Abteil im Wagen ist defekt.
Ich bitte um Ausnahme und darum, die Tür zu öffnen. Das hat zuvor schon öfter mal geklappt. Doch der Bahnmitarbeiter des anderen Zuges sagt: Wir wollen doch nicht alle stehen bleiben müssen. Er spielt auf etwas an (Siemens Mobility weiß Bescheid…). Ich sage: Okay, dann hinten rein durch die andere Tür und ich quetsche mich durch den Gang durch bis zum barrierefreien Sitzplatz.
Wir gehen vor, aber die Hebebühne kommt nicht hinterher. Sie stehen noch an der defekten Tür und reden. Fast alle anderen Passagiere sind drin. Nur die Kinder und ich nicht. Panik macht sich breit. Mitkommen will ich auf jeden Fall. Jetzt noch mal stranden ist nicht drin’. Ein Soldat bietet Hilfe an und verstaut erste Gepäckstücke. Dann kommt der Zugchef und sagt, wir nehmen Sie mit! Auch der Mobilitätsservice mit Hebebühne kommt. Ich komme in den Zug rein und erreiche nach einem abenteuerlichen Marsch durch den engen Gang den barrierefreien Sitzplatz. Gut, dass mein Rollstuhl faltbar ist und ich mich dadurch quetschen konnte und somit überhaupt eine Chance hatte, den Zug durch eine andere Tür zu besteigen. Die Klamotten werden durch hilfsbereite Fahrgäste nachgereicht. Puh. Wir „kommen an“. Arrangieren uns im völlig überfüllten Zug – zum Glück ist Corona ja vorbei… (*Ironie). Gerade unterhalten wir uns angeregt mit einer Mutter und ihrem Kind, die von einer Reise aus Bayern kommen, als der Zugbegleiter kommt.
Bitte lachen Sie jetzt nicht, sagt er vorausschickend. In 15 Minuten verlassen Sie den Zug in Hannover und steigen in ihren ursprünglichen Zug wieder ein. Denn dieser steht wieder zur Verfügung und setzt seine Reise nach Kiel fort. Schweigen im Raume. Dann müssen wir doch lachen. Geht nicht anders. Der Zugbegleiter hat vorausschauend dafür gesorgt, dass der Zug so am Bahnsteig ankommt, dass ich über die noch funktionierende Tür aussteigen kann.
Nach der Reise – sich sammeln, das Erlebte zu Papier bringen. Sich beschweren, um Schadensersatz zu fordern (z.B. via RefundRebel “Entschädigung bei Barriere”) und auch um ein sichtbares Zeichen zu setzen für Inklusion auf der Schiene. Denn nach Plan geht in Sachen Barrierefreiheit kaum was bei der Bahn. Übrigens nicht nur in Deutschland…
Eine Sache noch – Ein großes Dankeschön an jene Bahnmenschen, die uns auf unserem Weg geholfen haben und “mitgezittert” haben, dass schließlich doch alles klappt. (insbesondere gilt unser Dank den beiden Leuten von der Mobilitätshilfe in Hamburg!). Nachdem der Zug nun mal weg war, haben sie alles versucht und drangesetzt, uns die Weiterreise zu ermöglichen und uns zu bestärken (es war alles andere als sicher, dass wir die Weiterreise am nächsten Tag würden antreten können). Danke auch an die tolle, verständnisvolle Servicepointmitarbeiterin in Mannheim.
Im Überblick – das ging schief
Ausstieg verweigert in Dammtor! |
Zug verpasst durch Gleiswechsel in HH Hbf |
Übernachtung durch Bahn in Mannheim: 3 Personen im Einzelbett |
Kein Ausstieg in Paris! |
Defektes WC im TGV (Paris-Mannheim) |
Stress durch MSZ bestätigte, aber nicht vorhandene Sitzplatzreservierung |
Räumung des Zuges vor Göttingen (allgemeine Info nur 15 min vorher) |
Defekte Einstiegstür in anderen Zug |
Lieber Kay, danke für Deinen Bericht. Wir wünschen Dir und allen anderen RollifahrerInnen das das endlich vorbei ist. Liebe Grüße Martina