Bahnversagen

Rebecca Maskos: Offener Beschwerdebrief an die Deutsche Bahn

Was ist passiert? In aller Kürze:

  • Reise mit Rollstuhl von Bremen über Hamburg (Achtung: Gleis 13/14!) nach Berlin verläuft nicht wie geplant und bestätigt!
  • Reisende wird nach Diskussion die Treppen hochgetragen (Lift im Hamburger Hauptbahnhof seit Wochen defekt!!!)
  • Anschlusszug verpasst, Weiterfahrt vom „Goodwill“ der Bahn abhängig
  • Bahnmitarbeitende oft kooperativ und hilfreich, aber technische Defekte und der (kommunikative) Umgang damit unterirdisch

Was sind Hinweise / Forderungen / Fragen an die Bahn?

  • Wie kann es sein, dass ein Aufzug an einem Gleis eines der Hauptknotenpunkte des deutschen Bahnnetzes über Wochen gesperrt wird? Obwohl er technisch funktioniert…?
  • Gibt es eine Qualitätssicherung innerhalb der Kommunikationswege?
  • Wann flexiblisiert die Bahn ihre internen Regelungen dahingehend, dass bei der Frage des Einsteigens in einen Zug nicht mehr die Willkür von Zugchef*innen regiert, sondern höchstens die tatsächliche Frage von Platzknappheit?
  • Welche Bahn-Mitarbeitende werden geschult, insbesondere auch im „Umgang auf Augenhöhe“ mit behinderten Menschen?
  • Was geschieht mit Beschwerden – „versanden“ diese oder stoßen sie nachvollziehbare Veränderungsprozesse im Unternehmen Deutsche Bahn an?
  • Wie steht es um die Stressbewältigung und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen der Deutschen Bahn?

Was bleibt?

Bahnreisende mit Behinderung sind oft massiver Willkür ausgesetzt. Es gibt kaum „Plansicherheit“ und keinen systematischen Umgang damit, wenn es auf einer geplanten Reise Probleme auftauchen.

Die ganze Schilderung der Fahrt (Anmerkung: sehr lesenswert!) gibt es auf Facebook.

Eine Kopie des Briefes veröffentlichen wir auch hier (mit freundlicher Genehmigung der Autorin; Hervorhebungen haben wir hinzugefügt):

Und hier wieder eine neue Folge der beliebten Serie „Beschwerdebriefe“. Man hat ja auch sonst nichts zu tun. 🙄 Heute: Die Deutsche Bahn.

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei meiner Fahrt am Montag, den 5.12.2022 von Bremen nach Berlin kam es zu einigen Vorfällen, auf die ich Sie gerne aufmerksam machen möchte. Ich beziehe mich hierbei auch auf eine Beschwerde von Dr. K., eingegangen bei Ihnen am späten Abend des 5.12.2022. Meine Hilfeleistung war unter der im Betreff angegebenen Nummer bei Ihnen angemeldet und der Rollstuhlplatz für die beiden Zugfahrten reserviert.

Ich möchte vorweg schicken, dass fast alle Bahnmitarbeitende an diesem Tag sehr kooperativ und freundlich waren und sich bemüht haben, mit dem durch verschiedene technische Probleme entstandenen Hintergrund der Situation umzugehen. Mein Ziel ist, der Bahn Hinweise zu geben, ihre Abläufe und Kommunikationsstrategien zu verbessern, damit alle Reisende die Züge und Bahnhöfe gleichberechtigt nutzen können. Dies ist derzeit nicht der Fall. Das muss ich nicht nur vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrung als langjährige Vielfahrerin feststellen, sondern auch angesichts zahlreicher anderer öffentlich gewordener Fälle.

Für die erste gebuchte Teilstrecke nach Hamburg mit dem IC 2312, geplante Abfahrt 18:18 Uhr in Bremen, teilte mir meine Bahn-App eine erhebliche Verspätung mit, so dass ich meinen Anschlusszug nach Berlin verpassen würde. Da ich früher in Bahnhofsnähe war als geplant, bat ich das Serviceteam darum, einen früheren Zug nutzen zu können. Dies war ein ICE, dessen Nummer ich nicht mehr rekonstruieren kann – er fuhr ebenfalls verspätet ab, sollte aber dennoch eine etwa 40-50 minütige Aufenthaltszeit am Bahnhof Hamburg haben. Über Hannover war es ausgeschlossen zu fahren wegen der Streckensperrung zwischen Berlin und Hannover zu dieser Zeit.

Ich hatte dem Bremer Team noch mitgeteilt, dass es auf keinen Fall ein Zug sein darf, der in Hamburg am Gleis 13/14 endet – die Sperrung des Aufzugs dort hatte in den vergangenen Wochen schon mehrere Umstiege in Hamburg vereitelt. Dass der genommene Zug dann doch dort halten wird war in Bremen nicht aufgefallen, außerdem hatten sie die Hilfe nicht als Umstieg, sondern als Ausstieg vorgemeldet (oder die 3S Zentrale hat es fehlerhaft weitergebeben – wo das Kommunikationsproblem lag ließ sich nicht rekonstruieren). Das Zugteam hat noch vergeblich versucht, Kontakt zum Bahnhof herzustellen, unter anderem um den Zug auf ein anderes Gleis umzuleiten. Außerdem hatte der Zug wegen einer fehlenden Erlaubnis, in den Bahnhof einzufahren, am Ende eine massive Verspätung, so dass die Umstiegszeit nun noch 10 Minuten betrug.

Am Gleis 13/14 am Hbf angekommen wurde mir von den Einstiegshilfe-Mitarbeiter*innen gesagt, ich solle weiter Richtung Dammtor fahren. Einen Hublift hatten sie nicht vorgefahren. Nachdem ihnen klar wurde, dass ich am Hbf umsteigen möchte (und das auch nicht mehr über Dammtor möglich gewesen wäre) gab es eine kurze Diskussion, wie ich vom Gleis kommen sollte. Herr S. kam eher zufällig dazu und bot an, mich zusammen mit einem der Service-Kollegen die Rolltreppe hochzubringen. Ich willigte ein und ließ mich mit dem Hublift aus dem Zug bringen. An der Rolltreppe angekommen sollte alles (verständlicherweise) sehr schnell gehen. Ich wollte mein schweres Gepäck, das ich mir umgehängt hatte, jemandem geben, der nicht gleichzeitig den Rollstuhl trägt. Dazu sprach ich Herrn K. an, der völlig zufällig zeitgleich an der Rolltreppe vorbeikam. Er willigte sofort ein, die beiden Herren vom Bahnservice lehnten dies jedoch ab. Einer der Mitarbeiter hatte meine Tasche schon in der Hand, Herr S. trug ein Paket. Für mich war es offensichtlich, dass Herr S.und sein Kollege mich jeweils mit einer Hand transportieren wollten. Aufgrund meiner Beeinträchtigung, der Glasknochenkrankheit, ist es für mich wichtig, jegliche Unfallgefahr auszuschließen. Herr K. hat sofort verstanden, dass ich das einhändige Transportieren nicht möchte und geriet mit Herrn S. in eine Diskussion, – er wollte sein Paket auf keinen Fall aushändigen. Beide Herren der Bahn behaupteten, sie hätten mir „mehrfach“ gesagt, dass das Paket und das Gepäck abgestellt wurde. Bei mir ist diese Info nicht angekommen, es war für mich auch nicht ersichtlich. Es endete damit, dass Herr S. das Paket auf dem Boden am Fuß der Rolltreppe abstellte und sein Kollege meine Tasche nach oben brachte, wo er sie unbeaufsichtigt abstellte. Dann brachten die beiden mich hoch, während dessen sie aggressiv und mit Vorwürfen auf mich einredeten:

„Jetzt kommen Sie endlich, was soll das, warum diskutieren Sie hier lange rum!“

„Die hat ja die Ruhe weg!“

„Sie wollen ja nicht zuhören!“

„Wenn Sie nicht soviel diskutiert hätten wären wir schon längst oben!“

„Sie sind ja gar nicht angemeldet“.

Etc. An alle Vorwürfe kann ich mich nicht erinnern. Meine Hinweise, dass meine Priorität Sicherheit ist, unter anderem wegen Glasknochen, kamen nicht an. Als wir oben angekommen in Richtung des Anschlusszuges gingen und dieser zeitgleich abfuhr, ging es weiter „Tja, Ihre Schuld, aber Sie haben es ja nicht anders gewollt!“. Zur Kollegin von der Mobilitätshilfe gewandt sagte Herr S. noch „na dann übernimm du die mal, viel Spaß mit der“ (ich stand daneben).

Auf dem Weg ins Reisezentrum begegnete die Dame von der Mobilitätshilfe und ich Herrn K. und seiner Begleitung, die sich an der DB Information über Herrn S. und seinen Kollegen beschwerte. Es kam kurze Zeit später zum Gespräch mit Herrn S. und Herrn J., das von Herrn K. bereits dokumentiert wurde (Email vom 5.12.2022). Ich hatte bei Herrn J. zwar genug Gelegenheit, meine Sicht der Dinge darzustellen, war aber irritiert davon, wie wenig Aufmerksamkeit und Zeit er den Darstellungen von Herrn K. und seiner Begleiterin widmete. Auf mich wirkte es so, als wenn er sich nicht alle Seiten der Geschichte anhören wollte. Außerdem versuchte er anfangs, meine Einwände immer wieder zu relativieren, indem er darauf hinwies, dass „es doch geklappt hat“ und ich doch „sicher angekommen“ sei. Insgesamt schien mir das Klärungsgespräch nicht auf eine konstruktive Klärung angelegt gewesen zu sein, sondern auf Abwimmeln.

Anschließend herrschte noch lange Zeit Unsicherheit, ob ich nun den nächsten Zug nach Berlin nehmen „darf“ oder nicht – da ich ja in diesem nun keinen reservierten Rollstuhlplatz mehr hatte. In dieser Situation war ich wie immer auf das „goodwill“ der Zugchef*innen angewiesen. In meinem Fall hatte ich es zum Glück mit einem unkomplizierten Zugteam zu tun und konnte einsteigen. Aber allein, dass mir um ca. 22.00 Uhr abends die Fahrt verweigert werden kann, während andere Fahrgäste selbstverständlich auch ohne Reservierung zusteigen können, ist eine klare Ungleichbehandlung.

Für mich ergeben sich aus dem Geschehen und auch aus zahlreichen vorangegangenen chaotischen Bahnfahrten folgende Fragen an die Deutsche Bahn:

  • Wie kann es sein, dass ein Aufzug an einem Gleis eines der Hauptknotenpunkte des deutschen Bahnnetzes über Wochen gesperrt wird? Obwohl er technisch funktioniert und lediglich (nach Auskunft der 3S Zentrale) eine Genehmigung für den Anbau einer Rampe fehlte? Warum setzt sich die Deutsche Bahn nicht stärker dafür ein, dass diese Genehmigung schneller erteilt wird? Warum sind keine flexiblen Lösungen möglich, bei denen der Fahrstuhl für Rollstuhlfahrer*innen (mit Hilfe durch den Mobilitätsservice) ausnahmsweise entsperrt wird, während er für die Allgemeinheit gesperrt bleibt? Warum nimmt die Bahn statt dessen dieses Reisechaos in Kauf und verärgert Hunderte von mobilitätsbeeinträchtigten Bahnkunden, die über Wochen komplizierte Ausweichverbindungen nutzen müssen? Nur als Fußnote: Auch behinderte Menschen haben Zeitdruck, fahren mit der Bahn zur Arbeit oder zu wichtigen Terminen, auch wenn wir im Kopf vieler Menschen lediglich als „Rentner*innen mit viel Freizeit“ vorkommen. Ich beispielsweise pendele regelmässig von Berlin zu meinem Arbeitsplatz an der Universität Bremen.
  • Gibt es eine Qualitätssicherung innerhalb der Kommunkationswege, die sicherstellt, dass Informationen über Mobilitätshilfe auch korrekt an die jeweiligen Umsteige- und Zielbahnhöfen ankommen? Ist die Einbindung der 3 S Zentrale dazu immer notwendig, oder gibt es nicht Aspekte, die die Kommunikationswege zwischen den Mobilitätshelfer*innen der einzelnen Bahnhöfe eher verkomplizieren und Fehlinformationen entstehen lassen?

  • Wann flexiblisiert die Bahn ihre internen Regelungen dahingehend, dass bei der Frage des Einsteigens in einen Zug nicht mehr die Willkür von Zugchef*innen regiert, sondern höchstens die tatsächliche Frage von Platzknappheit? Dass auch eine defekte Rollstuhl-Toilette zwar eine Unannehmlichkeit, aber kein Grund für einen Ausschluss von der Mitfahrt darstellen kann?

  • Wie steht es in Sachen Kommunikation mit Bahn-Kund*innen, insbesondere vor dem Hintergrund von Intersektionalität und Nicht-Diskriminierung? Welche Bahn-Mitarbeitende werden darin geschult, insbesondere auch im „Umgang auf Augenhöhe“ mit behinderten Menschen? Wann wird z.B. vermittelt, dass behinderte Kund*innen Expert*innen in eigener Sache sind und selbst am besten wissen, wie ein Hilfsmittel anzufassen ist oder wie ihre Sicherheit gewährleistet werden kann? Dass Absprachen darüber sehr schnell gehen können – wenn es denn eine Bereitschaft der Helfenden gibt, überhaupt nachzufragen und die Hinweise ernst zu nehmen? Wann und wo wird vermittelt, dass „Helfen“ eine Frage der Überwindung von Barrieren ist, auf die behinderte Menschen ein Recht haben, und eben kein Almosen ist, oder eine Art Rettung für die sie dankbar sein müssen? Wann wird vermittelt, dass die Helfer*innenrolle – so wichtig sie ist – immer auch ein Stück Macht beinhaltet, und dass die Hilfeempfangenden während der Hilfeleistungen auch Unbehagen und schlicht Angst um ihre Sicherheit haben können?

  • Wie steht es um die Kundenbetreuung der Bahn? Wie wird mit Beschwerdeprozessen umgegangen, werden Ihre Mitarbeiter*innen in dieser Funktion geschult? Was geschieht mit Beschwerden – „versanden“ diese oder stoßen sie nachvollziehbare Veränderungsprozesse im Unternehmen Deutsche Bahn an?

  • Last not least – wie steht es um die Stressbewältigung und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen der Deutschen Bahn? Wird genug Geld ausgegeben, um neues Personal zu rekrutieren, auszubilden, fair zu beschäftigen, damit auch im Beruf zu halten und in der Lage, einen guten Umgang mit den Kund*innen zu pflegen?

Ich selbst muss nicht auf alle diese Fragen eine eigene Antwort erhalten, sondern möchte sie als eine dringende Bitte betrachten, Missstände bei der DB zu thematisieren und abzuschaffen.

Mit freundlichen Grüßen,

Rebecca Maskos

Bahn-Admin

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